19 November 2014

Mein heutiger Farbklecks

... erzählt von meiner anderen großen Leidenschaft neben dem Nähen, dem Lesen. Ich habe nämlich drei Lesetips für Euch: Bücher von Marie -Sabine Roger, einer französischen Autorin.
 
 
Mit dem Labyrinth der Wörter wurde Marie-Sabine Roger bei uns bekannt. 2009 wurde das Buch mit Gérard  Depardieu in der Hauptrolle verfilmt. Nachdem ich das Buch in Deutsch gelesen hatte, wollte ich unbedingt das Buch im Original lesen. Die Ausgabe, die ich kaufte, hat auf dem Titel eine Szene aus dem Film.
 
 
 Hier habe ich schon davon berichtet. "Wörter sind wie Schachteln, in die man seine Gedanken einsortiert. Wobei eigentlich nicht die Verpackung zählen sollte, sondern das, was man reinsteckt. Es gibt wunderschöne Päckchen, wo nicht als Dreck drin ist, und andere, die ungeschickt verschnürt sind, aber wahre Schätze enthalten ..."  Germain ist ein solcher Schatz. Gerade habe ich mich wieder vertieft: seine Aufzählung der germanischen Völker, die Erwähnung der Ratten in der "Pest" oder einer Litotes - das alles vor seinen Freunden, die ob seiner Entwicklung nicht mit dem neuen Germain umgehen können. Komisch, unaufgeregt, witzig und unbedingt lesenswert.

Als wir wieder einmal in Frankreich waren, hatte ich ein zweites Buch von Marie-Sabine Roger mitgenommen und erst später die deutsche Übersetzung gekauft.


Gérard ist körperlich sowie auch (ein wenig) geistig behindert. Er lebt bei seinem Bruder und dessen Frau Marlène. Diese will den Schwager loswerden und beleidigt ihn immerzu, worüber jener aber lacht, weil er eben nichts versteht von dem, was sie sagt. Marlène regt sich zum Beispiel über Leute auf, die Hunde aussetzen und will doch Gérard loswerden, indem sie ihn irgendwo zurücklassen. Der Dialog, der dazu geführt wird, ist absurd. "... wegen der miesen Schufte, die sich ihre Hunde vom Hals schaffen. (..) denn sie selbst, sie könnte niemals ein Tier aussetzen. Einen schwachsinnigen vielleicht. aber einen Hund niemals."
Alex ist Untermieterin und beobachtet den teilweise bösartigen Umgang Marlènes mit Gérard, der von Alex Roswell genannt wird Sie selbst ist auch ein wenig außerhalb der Norm: groß, dünn, wenig fraulich, mit Piercings und einer Reibeisenstimme. Sie entwickelt große Sympathien für ihn.
Gérard ist verrückt nach Popcorn, singt gern, wenn auch sehr schräg; trägt Gedichte vor, die keiner versteht und lacht sich kaputt, ohne zu wissen, warum. "Gérard schert sich eine Dreck darum, sich 'ordentlich zu benehmen'. Er schwebt weit über alldem, hoch über den Wolken. Was willst du auch machen, wenn du so eine Visage mit so einem Körper hast? Wenn du schlimmer als ein Bernhardiner sabberst und alle Wörter so vernuschelst, dass kein Mensch etwas versteht? Wenn sich die Leute auf der Straße tuschelnd nach dir umdrehen und dich heimlich angaffen, als wärst du ein Alien oder eine Jahrmarktattraktion?"   "An dem Tag, als ich ihn zum ersten Mal begegnet bin, habe ich gedacht, so wie er aussieht, muss er den IQ einer Kaulquappe haben. Aber das stimmt nicht. Gérard ist intelligent. Pech für ihn. Aber er hat trotz allem Spaß und liebt das Leben." Eines der Gedichte, die er deklamiert, geht folgendermaßen:

Welchen Tag haben wir
Wir haben jeden Tag
Meine Freundin
Wir haben das ganze Leben
Meine Liebe
Wir lieben uns und wir leben
Wir leben und wir lieben uns
 
Und wir wissen nicht, was das Leben ist
Und wir wissen nicht, was der Tag ist
Und wir wissen nicht, was die Liebe ist
 
"Roswell artikuliert so gut, er kann, er gibt sich Mühe, das sehe ich. (...) Aber ich bin mir sicher, daß er genau versteht, was er sagt, selbst auch er nicht genau weiß, was das Leben ist oder der Tag. Oder die Liebe."
Als Alex Gérard eines Tages mit zum Kanal nimmt, begegnen sie einem nicht minder seltsamen Paar: Olivier, dem Bierdosenweitwerfer und seinem melancholischen Kumpel Cédric. Die vier bilden bald ein Quartett und entwickeln einen Plan, wie sie Gérard aus Marlènes Fängen befreien können. Und so verstehe ich auch den Originaltitel, wenn man ihn ins Deutsche übersetzt: "Vivement l'avenir" - "Lebhaft die Zukunft". Die deutsche Übersetzung habe ich gekauft, weil ich Gérards französisches Kauderwelsch nicht verstehen konnte. Marie-Sabine Roger erweist sich als gute Beobachterin. Sie führt die kruden Gedanken sowie Auslegungen Marlènes ins Absurde und offenbart damit ihre Engstirnigkeit, Kleingeist und Voreingenommenheit.

Das dritte Buch habe ich Anfang des Jahres gekauft. Die Originalfassung besitze ich noch nicht. Das kleine Taschenbuch mit mehreren Kurzgeschichten hatte ich vor drei Jahren in Frankreich mitgenommen. Diese wiederum habe ich noch nicht in deutscher Übersetzung gefunden.


Ich fange hier mal mit der Zusammenfassung der Handlung durch den Haupthelden an. "Was habe ich hier für Bekanntschaften gemacht! Eine vierzehnjährige Mutter, ein Stricher mit Uni-Diplom, ein sentimentaler Bulle auf Vatersuche, ein unsympathischer Chirurg, eine philosophische Krankenschwester, ein optimistischer Physiotherapeut, ein depressiver Neurologe, ein überarbeiteter Urologe, Tag- und Nachtschwestern, gehetzte Pflegehelferinnen und Stationshilfen, die es selten eilig hatte, eine Schwesternschülerin. Klingt wie ein Gedicht von Prévert."  
Der eher menschenscheue Jean-Pierre ist seit einem Unfall, an dessen Ursache er sich nicht erinnern kann, im Krankenhaus an sein Bett gefesselt. Er ist Witwer und kinderlos. Eigentlich will er nur seine Ruhe haben, um seine Memoiren zu schreiben. " Uropa war einfach ein Griesgram, ein alter Nörgler. Ich muß wohl seine Gene geerbt haben. Ich bin genau wie er, mein Herz leidet an Verstopfung." Aber da gibt es eine Reihe Leute, die ihn daran hindern. Zuerst natürlich die Ärzte, die hier alle Klischees bedienen. "Die Koryphäe zählt für seine Studenten alle meine Defekte sowie die durchgeführten Reparaturen auf. Dabei wird mir klar, wie ramponiert ich bin. (..) Für ihn bin ich im Moment kein Mensch, sondern eine makellose Arbeit mit guter Prognose." Nie wird die Tür nach den Besuchen der Ärzte oder Krankenschwestern wieder zugemacht, was ihn mächtig stört.
Der junge Polizist Maxime versucht herauszufinden, wie Jean-Pierre in der Seine gelandet ist. Er zeigt Interesse an Jean-Pierre, weil er seinem verstorbenen Vater ähnlich sieht. Schon bald entdecken die beiden ihre gemeinsame Vorliebe für Schwarzweißfilme. Ein unheimlich dickes Mädchen, Maeva, will nur seinen Laptop, um auf Facebook zu gehen. Er betitelt sie unter anderem als "Nervensäge", ägyptische Plage", Klette", Blutegel" Am Ende stellt sich raus, daß sie schwanger war und Jean-Pierre sozusagen als Opa für ihr Neugeborenes adoptiert. Myriam, die Krankenschwester, hat den Griesgram so in ihr Herz geschlossen, daß er ihr Lieblingspatient wird. Und dann ist da noch Camille, der Jean-Pierre aus dem Fluß gezogen hat. Er ist ein Prostituierter, womit er sein Studium finanziert. Anfänglich in unerfreulichen Diskussionen und Vorurteilen gefangen, kommen die beiden sich langsam näher. Am Ende nimmt Jean-Pierre ihn bei sich auf, damit dieser ihm in seinem beschwerlichen Alltag helfen kann.
"Ein wahres Lesevergnügen! Eine zärtliche Hymne an die Macht der Freundschaft, komisch und schwungvoll erzählt." Dieser Einschätzung kann ich mich nur anschließen. Der französische Titel ist übrigens "Bon rétablissement" - "Gute Besserung!", was durchaus auch zweideutig zu verstehen ist.

Ganz schön viel Text heute, ich hoffe, Ihr habt durchgehalten. Und denen, die ich neugierig machen konnte, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre.

Petruschka

5 Kommentare:

  1. Ich würde Dich sehr gerne mal Französisch sprechen hören, ich mag das so.

    Nana

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  2. Danke, dass Du Dir so viel Mühe gegeben hast, uns diese Bücher nahe zu bringen. Und es ist Dir gelungen. So schön hast du sie beschrieben, man merkt, dass Du diese 3 Bücher sehr magst.
    glg Susanne

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  3. Liebe Petra,
    ich habe den Film zum ersten Buch erst kürzlich gesehen , und er hat mich sehr berührt!
    Du hast mich auf jeden Fall neugierig gemacht und vielleicht kaufe ich mir letzteres!
    LG
    Ucki

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  4. HAH!!!
    Wir haben die gleiche Lieblings-Schriftstellerin?!?
    Cool!
    Ich finde die Bücher soo toll!
    Völlig unaufgeregt aber sie kann sich das voll leisten!
    Ihre Bücher gehen tiefer..
    Schwer zu erklären gelle?
    Schööön!
    Schade, dass es die Kurzgeschichten nicht auf deutsch gibt :-(
    Ich kann kein französisch :-(
    Susanne

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  5. Liebe Petra,
    tolle Buchbesprechungen, ich bin beeindruckt, dass du sie auch in der Originalsprache liest! danke für diese interessanten Empfehlungen! GlG, Martina

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Danke für Deinen Kommentar, ich freu mich sehr darüber.
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